Inspektion

„Gregori ist mein Name. Wir haben einen Termin“, lächelt mein Gegenüber mich an und wirft mir einen prüfenden Blick zu. Dass er so groß ist, war mir gar nicht bewusst. Die Haare sind raspelkurz und weiß.

„Können Sie sich jetzt noch erinnern“, frage ich mit hoffnungsvollem Unterton und schwäche in einer diffusen Handbewegung meine Worte ab, da die Planung von damals nicht so spektakulär gewesen ist, dass sie im Gedächtnis haften geblieben sein wird.
„Ja, schon“, meint er leicht zögernd und lässt seinen Blick über die Rabatte gleiten, die an der Straßenseite den durchsichtigen Stabzaun aus Metall begrünen soll. Doch nun ist fast Winter und die meisten Stauden sind abgeschnitten. Ein wenig kahl wirkt es schon. Die Stermagnolie in der Ecke dominiert allerdings, ebenso die kugelige Kiefer am anderen Ende des Zauns.
„Sehr bewachsen ist es trotz der langen Zeit nicht“, beeile ich mich zu rechtfertigen, da ich seinem Blick gefolgt bin. „Aber ich mag lichte Gärten.“ Er nickt zustimmend.

Wir gehen weiter in den anderen Teil unseres Gartens.
Er scheint nicht so begeistert zu sein, wie sich die Pflanzen präsentieren. Dabei missfallen ihm ganz sicherlich nicht Kirschlorbeerbüsche an sich, die üppig gewachsenen Rhododendren mit saftig grünem Laub, ein Feuerdorn, der mächtig in die Breite gegangen ist und noch ein paar rote Beeren trägt. Wohl auch nicht die dominanten Eiben, er meint den Schnitt, der heuer sehr kurz und feinsäuberlich ausgefallen ist.
„Das kostet doch nur Geld“, stellt er tadelnd fest, „und der Gärtner verdient.“

Recht hat er, ich mag es auch viel lieber natürlich gewachsen, gebe aber zu bedenken, dass ich regelmäßig ins Gebüsch kriechen muss, um Unkraut zu jäten. Stachelige Mahonien, die sich als Unterbepflanzung eignen, verlieren ihre dürren Blätter, das Laub der Birke verrottet nur langsam. Giersch ist zum Glück eingedämmt, seit der gemeinsame Zaun vor zwei Jahren erneuert wurde. Unsere Nachbarn haben hier ihre langgezogene Einfahrt und halten sie sorgsam blätterfrei, was nicht einfach ist mit unserer riesigen Birke und der Kiefer in der Ecke, die bei Sturm eine Menge brauner Nadeln als Teppich ausbreitet.
„Trotzdem“,  meint er ein wenig brummig. „Die Natur gehört sich selbst überlassen.“

Weiter geht’s zur Westseite, wo auch das neue Grundstück anschließt, seine Miene wird versöhnlicher, denn das was geboten wird, gefällt ihm ganz offensichtlich. Seine Augen leuchten beinahe, wie er mit leidenschaftlicher Stimme und wohl auch spontan vom ersten Eindruck geprägt hervorstößt: „Hier muss sich der Garten öffnen, damit die Weite zum Vorschein kommt!“

Frank ist hinzugekommen und wir stehen am Terrassentisch. Wir zeigen Herrn Gregori die  Aufnahme eines Brunnens, ich blättere mit klammen Fingern ein paar Bilder von Kräuterbeeten herbei, was mir nun etwas lächerlich erscheint. Als Antwort bläst der Wind die Fotos in einer heftigen Böe zu Boden. Hastig sammle ich sie ein, es ist eiskalt.
„Wollen wir nach drüben gehen?“, frage ich Herrn Gregori, „damit Sie einen Eindruck von dem Ganzen bekommen.“

Vorsichtig bahnen wir uns einen Weg durch die Büsche.
„Die Blüten hier können Sie abschneiden und in die Vase geben“, stellt Herr Gregori fest und streicht in einer beinahe zärtlichen Geste über die Bälle der Hortensien, die trotz der späten Jahreszeit noch leuchtend rosa gefärbt sind.

Wir gehen ein paar Schritte weiter, er fasst die dürren Äste eines Baumes tastend an. „Ist das ein Zwetschgenbaum?“, forscht er nach, was wir mit Kopfnicken bestätigen können, denn die Zwetschgen fallen im Herbst auch auf unsere Wiese. Ebenso die gelb gefärbten Blätter, die sehr früh im Jahr welken. Ich mag den leicht modrigen Geruch, den die Früchte verströmen und nehme ihn als Zeichen wahr, dass es Spätsommer geworden ist.

Ein kleinerer Busch stellt sich vor uns in den Weg, Herr Gregori hebt eine schrumpelige Birne auf und beißt herzhaft hinein.
„Sie schmeckt gut“, freut er sich und wischt etwas Saft von seinem Mundwinkel. Der Birnenrest fällt in hohem Bogen ins Gebüsch. „Wir müssen natürlich kräftig ausschneiden“, meint Herr Gregori mich raschem Kennerblick, „und ein, zwei Bäume gehören auch noch gefällt, die abgestorben sind. Viel Rasen ist es nicht mehr“, konstatiert er und ich hefte meinen Blick auf den Boden.

Die Regenwürmer haben im  Moos unzählige kleinen Häufchen aufgeworfen, Grashalme sehe ich eigentlich gar keine mehr. Was habe ich dann nur gemäht, wie mich die Vorbesitzern vor ein paar Wochen dazu eingeladen hat, etwas mitzuhelfen im gemeinsamen Besitz, frage ich mich insgeheim und leicht beschämt. Ich entsinne mich nur, wie ich die vielen Birnen aufgesammelt und in die Biotonne geschichtet und dann den Motormäher benutzt habe, um ein letztes Mal vor Einbruch des Winters zu mähen. Es war mehr als anstrengend und ungewohnt für mich, das schwere, motorbetriebene Gefährt im Zickzack-Kurs um die Obstbäume herum zu bugsieren. Hier an dieser Stelle verschwimmt meine Erinnerung. Blätter, es müssen Blätter gewesen sein, die ich Korb für Korb gemäht und in einem riesigen Haufen hinter der großen Fichte aufgeschichtet habe.

Wir gehen zu den Nachbarsgrenzen und schreiten sie langsam ab.
„Hier ist noch etwas Industrie, die letzten Reste“, beeile ich mich zu erklären, da mir die Idylle, die sich hier so offensichtlich zeigt, fast ein wenig peinlich ist. „Es ist eine Eisfabrik.“
Herr Gregori inspiziert das flache Gebäude mit den vielen Milchglasfenstern sehr genau.
„Sie meinen Eis zum Beliefern von Eisdielen? Sind die laut?“ Sein Unterton ist etwas lauernd.

Die Frage kann ich bejahen, denn frühmorgens ist in den Sommermonaten die Nacht längstens vorbei, wenn die Lieferwägen von fröhlich pfeifenden und singenden Südländern beladen werden. Solange sich  keine Nachbar daran stören, dürfen sie blieben.

„Hier gehören ringsum Büsche gesetzt“, stellt unser Gartenarchtitekt fest. „Ein Strauch kostet nur ein paar Euro, aber dann ist der Bereich auch dicht.“
Darauf wäre ich gar nicht gekommen, dass auch ringsum an den teils sehr verrotteten Zäunen Pflanzen gesetzt werden könnten.
„Die Zäune sind eine eigene Baustelle“, beantwortet er meine stumme Frage, ohne dass ich sie stellen muss. Wir verstehen uns.

 

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