Frisches Grün

Heute ist eine umfangreiche Rettungsaktion eingeplant.
Da es noch sehr früh am Tag ist, breitet sich der Sonntag in einer enormen Weite vor mir aus.

Ich steige in meine Gummistiefel und hole den Spaten aus dem Schuppen, um all die zahllosen Akeleien auszugraben, die am alten Zaun wachsen. Bald wird dieser Bereich nicht mehr existieren.
Vorsichtig steche ich die Wurzelballen zierlicher Eisenhüte aus, die sich nach einer Selbstaussaat zu kleinen Pflänzchen entwickelt haben.
Behutsam nehme eine noch sehr junge Pfingstrose, die mit ihren roten Spitzen wie Spargel aus dem Erdreich ragt, auf die Schaufel, grabe das gelbblühende Kreuzkraut aus, das ich damals von weither nach Hause transportiert habe und das sich fest im Boden verankert hat.
Wachsglocken dürfen nicht vergessen werden, die im Herbst ganz bezaubernd in einer hellgelben Farbe blühen. Herbstanemonen und Elfenblumen, hübsche Bodendeckerpflänzchen für den Schattenbereich, die jetzt bald einen zarten Blattteppich ausbreiten.

All die geborgenen Schätze lege ich mit reichlich Erdreich auf die schattige Seite des Gartens in frisch ausgebrachte Rindenspäne, der Duft steigt mir dabei in die Nase.
Die Oberfläche des kleinen Teichbeckens vor dem Wohnzimmer ist mit einer Schicht rosa Blütenblätter bedeckt. Mit Kelle und einer stabilen Zinkkanne schöpfe ich das Wasser aus und ein Teil der Stauden wird gleich bewässert.

Obwohl es kühl ist, trocknet ein kräftiger Wind die Beete im Nu aus.
Man kann förmlich zusehen, wie die Natur im Minutenttakt frisches Grün prodziert und die Welt nach und nach bunter wird.
Auch wenn ich fasziniert bin von leisen Tönen wie cremiges Weiß oder wachsiges Gelb, das nur die Spur von Farbe enthält.

Schnell haben wir uns an das feste Team der Gartenbauer gewöhnt.
Es ist fast wie eine kleine vertraute Familie, wenn Handwerker länger rund ums Haus oder den Garten beschäftigt sind.
Ich weiß nun genau, wer gerne Kaffe mit Milch am Vormittag trinkt, wer lieber Wasser mit Apfelsaft vermischt mag oder Fruchtlimonade und die eine oder andere tragische Geschichte aus dem Leben wird mir erzählt.

Die Zusammenführung der beiden Gärten ist vollzogen, wobei ich nicht weiß, was nun alt ist und was neu.
Nichts deutet mehr auf die ehemalige Grenze des Holzzaunes mit all seinen Büschen und Stauden hin.
Nichts bis auf den breiten braunen Steifen. Und die eine oder andere Staude, die bereits wieder aus dem Erdreich hervorlugt.
Sie ist wie ausgelöscht und ich muss mir Bilder ansehen, um mich zu erinnern.

Das abfallende Gelände wurde sorgfältig geebnet, teils mit Erde ausgeglichen, der Rasensamen ist bereits fein verteilt und frisch gewalzt.
Das übrige Gras breitet sich drüben im Garten neben all dem Moos in hohen,  unregelmößig gewachsenen Büscheln aus und ist saftig grün.
Frühlingsanemonen in weißen Horsten setzen Akzente und lassen erahnen, wie eine Wildblumenwiese im zeitigen Jahr aussehen könnte.

Drüben im Garten ist der Naturgarten, ich habe mich längst in ihn verliebt.
Die alten Pflanzen vermisse ich jedoch ein wenig, sie alle wurden in Ecken versetzt, die vom alten Garten aus gar nicht mehr richtig einsehbar sind.

Der Wasserschlauch läuft den ganzen Tag und lässt kleine Seen entstehen, da die Gärtner das Erdreich um die Wurzelballen herum großzügig ausgehoben haben. Noch bange ich ein wenig um die vielen Rosen, die ursprünglich das kleine Teichbecken vor der Küche umspielt haben. Sie wurden mit der kleinen Baggerschaufel ausgegraben und in einem großen Loch zusammen mit einigen Büschen zwischengelagert.
Das Teichbecken mit dem Quellstein wirklich völlig fremd und ungewohnt so solitär im Erdreich plaziert.

Der große Kirschlorbeerbusch fehlt, er wurde an die Nachbarsgarage vesetzt. Geany wird sich ein neues Plätzchen suchen müssen, um ihre Familie beim Abendessen oder Frühstück im Blickfeld zu haben. Vielleicht erwartet sie aber auch ein Paradies an Verlockungen, welches das Leben von nun an „drüben im Garten“ für sie bereithält.

 

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