Erstes Date

Um 15 Uhr treffen wir uns am Zaun!

So lautet die knappe Vereinbarung, die wir Drei getroffen haben. Mein Mann Frank, mein jüngster Sohn Marcel und ich.
Es ist bereits neblig trüb und kalt, so dass Geany, unser Kätzchen, sich in ihr Körbchen zurückgezogen hat und mit der Pfote über dem Gesicht wohlig eingerollt schläft. Vorsichtig hebe ich sie aus ihrem warmen Bett und gehe hinaus zum Date am Zaun. Meine dicke Jacke habe ich übergezogen, meine Handschuhe auch.

Frank hat die Zange geholt, Marcel schraubt bereits heftig am Zaun.
Ein leichter Wind weht, die spätherbstlich gefärbten Blätter fallen raschelnd zu Boden. Es ist Mitte November. Fürsorglich presse ich Geany an meine Jacke, da sie ganz leicht zittert.

Es ist so weit. Heute wird ein Lattenfeld aus dem Zaun herausgenommen, um zu sehen, wie es „drüben“ aussieht.
„Drüben im Garten“ ist unser neuer Garten, den wir nach achtundzwanzig Jahren Bangen und Hoffen erwerben konnten, nachdem die zweite Besitzerin nun ausziehen möchte.

Es ist riesig, das Grundstück. Auf einer Hälfte steht ein älteres Haus, die andere Hälfte gehört der Natur.
Mit alten Obstbäumen, in deren Kronen sich Efeu am Stamm hochgewunden hat. Mit ausladenden Nusssträuchern, hohen Fichten, die unzählige Zapfen tragen. Mit Fliederbüschen, einem gewaltigen Essigbaum, dessen Laub sich im Herbst lodernd rot verfärbt. Mit vielen Eichhörnchen, die wie Akrobaten von Wipfel zu Wipfel schweben, einer Schar Vögel von groß bis klein und einem alten verwitterten Brunnen.

Jeder Schritt federt im weichen Moos. Mostbirnen liegen verstreut und vergessen auf der Erde, auch  ein paar verschrumpelte Äpfel und Zwetschgen haben sich in den Untergrund gebohrt.

Geany ist verwirrt und verharrt regungslos auf meinem Arm.
Was machen die hier?
Es ist geschafft, das Zaunfeld lehnt ein wenig verloren am Rand, eine weite Lücke klafft wie ein gezogener Frontzahn.
Mit großen, balancierenden Schritten bahnen wir uns einen Weg an den beiden Bauernhortensien vorbei, die immer noch rosafarbene Blütenbälle tragen, nach nebenan. Fast müssen wir klettern, da unser Gartenniveau durch aufgeschütteten Humus gut zwanzig Zentimeter höher liegt. Ein wenig zaghaft und verstohlen, beinahe auf  Zehenspitzen, um die Besitzerin des Hauses nicht zu stören, erkunden wir das Gelände. Wie Eindringlinge kommen wir uns vor, die heimlich in die Gärten der Nachbarn spähen, wozu wir noch nie Gelegenheit hatten.

Als wir von achtundzwanzig Jahren unser Haus gebaut haben, waren wir begeistert vom Schnitt des Grundstücks, da mehrere Himmelsrichtungen in die Gartenarchitektur eingeplant werden konnten.
Die dekorative Ostseite an der Straße mit den vielen Stauden und Blütenbüschen vor dem  lichten Metallzaun, die sonnige Südseite mit einer Terrasse, die nicht oft genutzt wird, und unsere geliebte Westseite mit Blick auf den Obstgarten nebenan.

Es war früher eine Gärtnerei, alte Dachziegel als Eingrenzung der ehemaligen Blumenbeete zeugen davon.
Wie habe ich die bunten Dahlien und Zinnien im Sommer und Herbst bewundert, welche die verstorbene Vorbesitzerin jedes Jahr als Knollen fein säuberlich in Reihen angeordnet gesetzt hat. Die weinroten Rosen, die an der alten Scheune hochklettern und auch jetzt noch jedes Jahrbis zum Frost wunderbar blühen. Die verwitterten Gemäuer erinnern mich an ein altes Gut, vielleicht eine Weinkellerei mitten in der Provence.

Auf unserer Terrasse im Westen, die vor der Küche liegt und mit einer weißen Markise beschattet werden kann, scheint die Sonne beinahe so lange, wie sie untergeht, da kein Haus die Sicht versperrt. Nur der alte Holunderbusch direkt am Nachbarszaun ist im Laufe der Zeit so groß geworden, dass er Schatten wirft. Der Blick auf die alten, knorrigen Obstbäume entschädigt für diese kleine Einschränkung.

Als sich im Sommer dieses Jahres aufgrund eines recht durchlässigen Beziehungsgeflechtes vor allem zu den Nachbarn am Nordzaun  abgezeichnet hat, dass die Besitzerin, die nun vier Jahres drüben im renovierten Haus gewohnt hat, ein paar Straßen weiter bauen möchte, wurden mein Mann und ich in unserer Ruhe aufgescheucht.

Wie würde es aussehen, wenn drüben der Garten bebaut wäre, bis nahe an unserem Zaun?
Wo würde Geany ihre Streifzüge machen?
Wo würde die Sonne untergehen und vor allen Dingen wann?

Vorsichtig tasteten wir uns vor, setzten Zeichen, es gab unverfängliche Plaudereien quer über den Zaun. Kurze Besuche bei uns im Garten folgten, damit die Nachbarin sich auch von unserer Perspektive aus ein Bild machen konnte. Sie war begeistert vom Anblick der Obstbäume, die das sommerliche Bild auf geradezu idyllische Weise prägten. Dabei überrraschte sie  mich immer mit einer kleinen Topfpflanze oder einem Strauß Sonnenblumen als Geste nachbarlichen Respekts.

An dieser Stelle muss ich zugeben, dass ich meine Nachbarin sehr zu schätzen gelernt habe und nicht nur deswegen, weil sie uns eine Hälfte des Grundstücks überlassen hat. Dabei ist ihr die Trennung sicherlich nicht leicht gefallen, da sie einen Teil ihrer Kindheit drüben verbracht hat und schöne Erinnerungen an den alten Garten im Gedächtnis trägt.

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