Reise in die Vergangenheit…

„Der könnte es schon sein“, meint Frank und legt die Stirn zweifelnd in Falten.
Mit er ist unser ehemaliger Gartenarchitekt gemeint, der damals vor etwa dreißig Jahren unseren Garten geplant hat. Eine leichte Böschung im Gelände aufwerfen, die vielen Stauden setzen ließ, eine wunderbare Magnolie, die im Erstfrühling weiße Sterne aufgehen lässt.

Zwei kleine, gepflasterte Becken mit Quellsteinen an den beiden Terrassen ziehen Libellen und  Grasfrösche an, die Steine wurden erst  kürzlich neu verlegt. Auch das Rondell, das früher der Sandkasten unserer Kinder war, ist mit hellen, druckimprägnierten Palisadenhölzern neu umrandet worden. Die ersten Sprünge zeigen sich bereits wieder im frischen Holz.

Ein Kloster- oder Apothekergarten ist es, wovon in träume. Mit Duftpflanzen zum Schnuppern, mit Heilkräutern, aus denen ich Öle und Essenzen für die Küche und für meine Naturkosmetik gewinnen könnte, mit einer Ecke für Gemüse, das selbst gezogen würde.
Ein Brunnen würde das Zentrum sein, mit einem angrenzenden massiven Steinbecken, damit Trinkwasser geschont und Grundwasser zum Gießen verwendet werden könnte.

Nachdem ich mich vergewissert habe, dass der Name mit der alten Rechnung, die ich aus unseren Unterlagen herausgesucht habe, übereinstimmt, wähle ich eine Nummer, die ich im Netz gefunden habe. Eine tiefe Stimme meldet sich nach nur zwei Klingeltönen ein wenig barsch mit Namen. Ohne lange Einleitung komme ich zum zentralen Punk meines Anliegens: „Ich suche einen Architekten, einen Herrn Gregori, der vor achtundzwanzig Jahren unseren Garten angelegt hat. …“ Ich stoppe kurz.
Er scheint gar nicht so überrascht zu sein, auch wenn er sich spontan mit Sicherheit nicht an das Objekt erinnern kann.
„Wäre schon möglich“, meint mein Gegenüber ausweichend, vermutlich um etwas Zeit zu gewinnen.
„Der Stimme nach könnte es passen“, versichere ich ihm, denn ganz entfernt habe ich noch den leicht heiseren Unterton meines Gegenübers im Ohr.

Mit knappen, ein wenig hastigen Worten versuche ich zu erklären, dass wir einen neuen Garten erworben haben, aber nicht zu viel Geld hineinstecken wollen, da irgendwann vielleicht wieder gebaut werden wird.
Außerdem werden auch wir nicht jünger, versuche ich meine leichte Unsicherheit zu überspielen, denn in regelmäßigen Abständen flüstert eine innere Stimme durchaus hörbar, es lohnt doch nicht mehr. Ich bringe sie zum Schweigen.

Der Architekt scheint zu verstehen und er versteht auch, dass ich von einem Klostergarten träume. Ich erwähne den Namen unseres Bauleiters von damals, der uns Herrn Gregori als Gartenplaner empfohlen hat, auch den Gärtner, der die Planzarbeiten durchgeführt hat. Die Namen sind ihm alle bekannt.

Ein wenig unbeholfen, dennoch sehr behutsam, um die Gefühle des Architekten nicht zu verletzen, versuche ich herauszubekommen, ob er auch wirklich noch arbeitet. Schnell überschlage ich die Rechnung,…, damals war er vielleicht Ende Dreißig. Dann wäre er jetzt an die…
„Ja, schon“, meint er etwas gedehnt und unterbricht die Reihe meiner Zahlenspiele, die ich gar nicht so genau erfassen möchte. „Ich habe noch eine Sekretärin und eine Praktikantin. Gärten gestalten ist das, was mir richtig Spaß macht!“

Die Veränderung seiner Stimmlage und die Leidenschaft, die nun in seinen Worten mitschwingt, ist auch über die Leitung zu spüren.
Ich bin beruhigt und wir vereinbaren einen Termin in zwei Wochen.
Dann allerdings noch in unserem alten Garten.

Es wird spät und immer später. Für fünfzehn Uhr ist ein Termin ausgemacht.
„Ist es da auch noch hell?“, habe ich Herrn Gregori ein wenig zweifelnd beim  Blättern im Kalender gefragt.
„Aber ja“, hat er ins Telefon gelacht, „um drei Uhr ist schon noch ein Tag.“
Bedenken habe ich trotzdem, noch dazu wo er zuvor ein weiteres Objekt betreuen wird und ich den Berufsverkehr scheue.

Ich habe Kaffee gekocht und eine kleine Kanne des Mangotees, der so gut riecht. Das Teelicht im Stövchen verbreitet einen tröstlich aufmunternden Schein, da heute ein besonders trüber Novembertag ist und es ist auch nicht richtig hell geworden ist. Auf dem Wohnzimmertisch liegen Fotos verstreut, die Frank und ich bei Spaziergängen aufgenommen haben. Wir mögen es, unbekannte Stadtteile zu Fuß zu erkunden, in Vorgärten hineinzuspähen, die man vom  Auto aus niemals wahrnehmen würde, und ein wenig neugierig die Klingelschilder zu lesen, die oftmals golden glänzen und auf Architekten, Notare oder Konsulate hinweisen.
Der kleine Brunnen auf einem Foto hat es mir angetan. Er ist zum Schutz vor Winter abgedeckt und trägt eine Zwiebelhaube. Um das Becken herum sind Kieselsteinchen in sternförmiger Anordnung ausgebracht, umrandet von Pflastersteinen so groß wie Bierdeckel. Fein säuberlich geschnittene Buchskugeln formen die Anordnung. Die Anlage hat eindrucksvoll ausgesehen und auch hier hielt sich ein Konsulat verborgen, die hohen Gitterzäune, stark verrostet, haben uns ungehindert durchschauen lassen.

Ein wenig nervös werfe ich einen Blick auf die Uhr, es geht schon auf vier Uhr Spätnachmittag zu. Langsam wird es dämmrig.
Kurz entschlossen sammele ich die Fotos ein und breite sie auf dem Gartentisch auf der Westterrasse aus. Hier draußen ist es noch wesentlich heller als im Zimmer. Ein paar Bücher lege ich hinzu, wobei ich einige Seiten mit bunten Aufklebern markiert habe, die Klostergärten sind gut sichtbar. Eine Zeitschrift blättere ich noch auf, da läutet es schon.
Schnell werfe ich die Jacke über, öffne gespannt die Haustür…

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