Bestandsaufnahme

Es ist wieder kalt und geht schon auf Abend zu.
März ist vom Klima her ähnlich geartet wie September im Spätsommer.
Am Tage klettern die Temperaturen in angenehme Höhen, am frühen Abend wird es empfindlich kühl. Dann ist auch die „blaue Stunde“ gut wahrnehmbar. Diese kennzeichnet eine Zeitspanne in der Dämmerung (und auch morgens vor Sonnenaufgang), wenn das Licht nach und nach abnimmt, der Himmel sich mitunter bläulich färbt, um schließlich in Finsternis überzugehen. Meist ist es keine ganze Stunde. Es zählt für mich als Luxus, diese stimmungsvollen Momente einzufangen.

Herr Gregori läutet und ich greife rasch nach meiner warmen Jacke. Wir gehen ums Haus und er tastet den Garten mit prüfendem Blick ab. Das kleine Teichbecken ist halb mit Regenwasser befüllt, ein wenig Laub und Birkenzweige vom letzten Sturm liegen am Grund.
„Ich benutze das Wasser zum Gießen der Beete“,  beeile ich mich zu erklären, „aber bis jetzt war es noch zu kalt, um alles auszuschöpfen.“
„Es sieht doch schön aus“, beruhigt er mich und wir gehen weiter.

Frank ist hinzugekommen und wir bahnen uns einen Weg nach „drüben“.
Das unterschiedliche Niveau der beiden Gärten macht sich bemerkbar, Frank bleibt mit seinem Jackenärmel an den dornigen Ästen einer Rose hängen, Herr Gregori strauchelt kurz und federt geschickt auf dem weichen Moosteppich ab.

Wir sehen alle Bäume ganz genau an, Herr Gregori bricht kleine Triebe ab und reibt sie prüfend zwischen zwei Fingern. Der alte Apfelbaum, der leider über und über mit Flechten bewachsen ist, zeigt wenig Leben.
„Obstbäume werden nicht so alt“, konstatiert er nüchtern.

Die beiden über und über mit Efeu bewachsenen Zwetschgenbäume sehen besser aus, der ausladende Haselstrauch, dicht mit maisgelben Puderquasten behangen, repräsentiert den Frühling schlechthin. Herr Gregori nimmt die riesigen Fliederbüsche in seiner Liste auf,  den Essigbaum mit seinen überaus morschen Ästen, und markiert zwei kleine Birnbäume.
Der Essigbaum wird nicht mehr zu retten sein, der restliche Bestand wird von kletterndem Efeu befreit und anschließend kräftig ausgeschnitten werden.
„Beim Flieder warten wir noch mit dem Stutzen“, überlegt Herr Gregori nachdenklich.  „Erst nach der Blüte. Bis dahin schneiden Sie ruhig für die Vase und bringen ein paar Zweige mit, wenn Sie ausgehen.“
Frank und ich tauschen einen heimlichen Blick aus.
„Sie gehen doch aus?“, forscht Herr Gregori in prüfendem Ton und verliert sogleich wieder das Interesse.

Ich sehe all die blühenden Fliederbüsche zwischen Obstbäumen, die sich in Schale geworfen haben, was prächtig aussehen wird im Frühjahr. Ringsum werden Büsche gesetzt, der morsche Zaun bleibt eine Baustelle für später.
Die verwitterten Umrandungen aus Stein, welche die Beete der ehemaligen Gärtnerei kennzeichnen, müssen weg, dafür brauchen wir einen kleinen Bagger. Unser Zaun wird abgerissen, das Niveau angeglichen, all unsere Bauern- und Rispenhortensien, Strauch- und Heckenrosen werden ringsum versetzt. Ein paar Lücken werden wohl bleiben, wenn ich mir die Fläche so betrachte.

„Aber Sie denken schon auch an meine Klosterbeete?“ erinnere ich Herrn Gregori behutsam und er kann mich beruhigen.
„Dafür schütten wir dann extra feine Erde auf, damit alles gut wächst.“
„Und wie sieht es mit einem Tümpel aus?“, mein Blick gleitet unwillkürlich zu der Stelle, an der der altersschwache Apfelbaum steht, obwohl ich weiß, dass wir mit unseren beiden Teichbecken bereits eine Menge Arbeit haben.
„Ein Teich funktioniert ja anders“, erklärt Herr Gregori und holt etwas aus. „Er hat eine Folie und regeneriert sich von selbst mit einer Umwälzpumpe, einer kleinen Wassertreppe  und den entsprechenden Pflanzen. Es schwimmen Seerosen, Fische fressen Mückenlarven und vielleicht quaken auch ein paar Frösche.“ Sein Gesicht ist völlig entspannt. Er geht einige Schritte weiter und deutet auf einen unbestimmten Punkt etwas entfernt. „Hier käme vielleicht ein kleiner Sitzplatz hin, damit gemütlich beim Grillen gesessen werden kann.“ Er scheint zufrieden.

Wir Drei sind uns einig geworden und Herr Gregori wirft abschließend noch einen prüfenden Blick auf die Zierkirsche vor unserem Haus, die schon schwellende Knospen trägt.
„Die bleibt“, höre ich ihn zu meinem Entzücken knapp sagen, „auch wenn wir letztes Mal etwas anderes besprochen haben. Die können Sie immer noch rausnehmen und später ein paar Meter weiter eine kleinere Ausgabe setzen, wenn „drüben im Garten“ gebaut werden soll.“

Wir verabschieden uns, mein Blick haftet sich unwillkürlich auf das Mobile, das im Regal des offenen Schuppens kurz aufblinkt. Ich kann es wieder aufhängen, es darf weiterhin Glück bringen.

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