Gedankenspielereien… Jahreswechsel

Vanillemazerat„Mist“, fluchte Julia leise und kippte kurz entschlossen den Inhalt der Flasche ins Waschbecken. Es blubberte, während sie mit heißem Strahl die vanillefarbenen Reste der Reinigungsmilch im Siphon versenkte. Was hatte sie nur falsch gemacht, das Rezept war doch viele Male erprobt, seit sie vor einem Jahr damit begonnen hatte, Kosmetik selbst herzustellen.

Es war bestimmt das Wildrosenöl schuld, das immer ein wenig tranig roch und auch im Kühlschrank nicht lange hielt, mutmaßte Julia, während sie im Geiste die Rezeptur abrief.

Wildrosenöl, Emulgator, Orangenblütenwasser, Auszüge von Gurke oder Olive, um die Haut vor Feuchtigkeitsverlust zu schützen.

Auch wenn Julia kurz vor Jahreswechsel eigentlich Wichtigeres zu tun gehabt hätte, holte sie rasch ihr Rührbuch hervor, das bereits aus den Nähten platzte, studierte sorgfältig die Anleitung, stellte die Substanzen zusammen und begann von Neuem zu mischen.

Die kleine Digitalwaage, die sie zu Weihnachten bekommen hatte, hatte sich bereits bewährt, wenn es auch hektisch schnell gehen musste, da die Anzeige im Minutentakt erlosch. Angestrengt maß Julia das Hydrolat ab, gab in ein zweites Becherglas das Öl mit der Sheabutter hinein und stellte beides auf die heiße Kochplatte, um anschließend durch Zusammengießen und kräftiges Rühren eine geschmeidige, duftende Emulsion zu erhalten.

Von duftend konnte keine Rede sein, musste Julia sich eingestehen, während sie betrübt mit einem dünnen Glasstäbchen im Orangenblütenwasser rührte. Ein unangenehm scharfer, geradezu fauliger Geruch stieg ihr in die Nase, vermutlich wurde das Parfum noch zusätzlich durch die Wärme verstärkt.
Alarmiert roch Julia an der braunen Apothekerflasche mit dem Hydrolat, das sie bei einem neuen Versand kostengünstig im Angebot erworben hatte, der sein Lager zum Ende des Jahres räumen wollte.

Wenigstens war der Übeltäter entlarvt. Julia eilte zum Computer, da die Feiertage vor der Türe standen und sie ohne Hydrolat nicht mischen konnte, und rief die Internetseite ihres vertrauten Händlers ab.

Zum Glück war das Passwort notiert.„Neroli“, tippte Julia bereits ein wenig getröstet in die Tastatur, benannt nach dem gleichnamigen ätherischen Öl, das das aus der Blüte des Orangenbaumes gewonnen wird. Orangenblüten wird zu Recht eine anregende, leicht stimmungshebende Wirkung nachgesagt, wie Julia nun dankbar feststellen konnte. Rasch gab sie den gewünschten Artikel ein und ab ging die Post. Sekunden später erhielt sie eine automatische Email-Bestätigung mit der Aufforderung, Vorabkasse zu leisten.

„Vorabkasse“, Julia war zutiefst enttäuscht. Bislang hatte sie diese Zahlungsmethode vermieden, die alles enorm verzögerte, und unbürokratisch und vor allen Dingen immer schnell die Ware gegen Rechnung erhalten.

Es verstrich keine Minute, da erschien eine zweite Mail in radebrechendem Deutsch mit rot markiertem Hinweis, die Ware auch gegen Lastschrift erhalten zu können.
Julia reagierte überrascht. Konnte der Computer etwa Gedankenlesen und hatte ihre Not erkannt oder saß doch ein Mensch aus Fleisch und Blut am anderen Ende der Leitung, eine Frage, die sie sich schon oft gestellt hatte.

Sie erhielt umgehend die Antwort, nachdem sie eine Telefonnummer gewählt hatte, die im Schreiben angegeben war.
Eine Stimme mit ausländisch gefärbtem Akzent versicherte ihr freundlich, die Ware noch heute zu verpacken und loszuschicken.

„Ein gutes neues Jahr“, wünschte sie abschließend, und dieser kurze Satz reichte aus, um Nähe zu einer völlig Fremden aufkommen zu lassen und ein bisschen Wärme zu transportieren, was auf elektronischem Wege niemals möglich sein wird.

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